Hill of Uisneach – das zentrale irische Heiligtum

Geographisch ist Irland aufgebaut wie eine Schale: an den Küsten erhebt sich ein Ring aus Bergen, die eine flach wellige Ebene umgeben und in deren Mitte befindet sich eingebettet der Hill of Uisneach in der Grafschaft Westmeath. Er ist in vielerlei Hinsicht das spirituelle Zentrum des alten Irlands und bedeutetende irische Ereignisse haben hier stattgefunden. Mehrere kulturelle, politische, religiöse und mythologische Schichten liegen hier übereinander, verweben und durchdringen sich. Der nur 182 m hohe Hügel bietet einen weiten Panoramablick über die Zentralebene und am Horizont sind bei gutem Wetter zwanzig Grafschaften zu sehen. Der ganze Berg ist ein vielschichtiger Naturtempel.

Sommersonnenwende Hill of Uisneach Übersicht

Ein persönlicher Reisebericht:

Unsere Reisegruppe, schon ein wenig in der irischen Landschaft eingeschwungen, kam abends gegen 19.00 Uhr am Fuße vom Uisneach an. Voller Vorfreude und ohne Plan, was uns erwarten wird, machten wir uns auf den Weg.

Freunde und Helfer vom Berg haben uns auf einen improvisierten Parkplatz mitten in den saftigen Wiesen eingewiesen. Nun denn! Irgendwo auf dem Weg, ganz unkonventionell – ein großer weißer Eimer, wo der Eintritt entrichtet werden konnte.

Am Besucherzentrum fanden sich dann eine Menge Menschen ein. Wir befanden uns auf einem kleinen Platz mit Tribüne, ein Raum für Filmvorführungen und ein kleines Häuschen mit einem Sammelsurium rund um den Berg und kleine Kuriositäten von allerlei Informationen, Schmuck, Bilder und natürlich der obligatorischen Teeküche!

Pünktlich wie wir Deutschen so sind, erwartete ich, dass das ganze Event – was auch immer es werden würde – bestimmt nach „Irish Time“ beginne. Sozusagen mit ein wenig Verspätung. Pustekuchen! Ich konnte nach dem intensiven Nachmittag nicht meine Seele baumeln lassen und einfach mal ein wenig in die Luft starren und das Geschehen auf mich wirken lassen. Pünktlich um 20.00 Uhr startete Marty Mulligan mit seiner Ansprache zur Sommersonnwende.

Erweitert wurde die Einführung und Sammlung von einer bunt geschmückten Frau mit Hut. Ein Tröpfchen wohlriechendes Öl verteilte sie auf die Innenseite eines jeden Handgelenks. Ihre Rede richtete sich an die innere Einstimmung und Haltung zur Feier. Durch ihre Anleitung mit Gesten und Bewegungen wurde die Handlung von jedem Menschen mit vollzogen und verinnerlicht. Eine kurze Zeit der Besinnung für unsere persönlichen Visionen wurde begleitet mit der traditionellen irischen Rahmentrommel, der Bodhrán.

Und los ging die Pilgerreise auf den Berg. Im Pulk aller Altersklassen und mit freudig-guter Stimmung und teils farbenfrohem Blumenschmuck auf dem Haupt, zogen wir auf den Berg.

Die erste Station unseres Weges führt uns zum Royal Palace, einem Ringfort, das in alter Zeit ein zeremonieller königlicher Palast war.
Ein Ringfort ist ein irisches Erdbauwerk. Die ersten Ringforts entstanden in der Bronzezeit. Die Bauweise hatte ihren Höhepunkt in der Eisenzeit zwischen 600 bis 1000 n. Chr. Ihr Bau endet etwa um 1300 n. Chr. Diese Bauwerke werden in Irland auch Ráth, Lis oder Fairy fort (Feenburg) genannt.

Sommersonnenwende Hill of Uisneach

Diese Ráths sind oft kreisrund oder oval (daher engl. Ringfort genannt) und von unterschiedlicher Größe. Ein typischer Ráth hat etwa 35 m Durchmesser und ist von einem vier Meter breiten und zwei Meter hohen Erdwall mit Graben umgeben, sie können aber auch weit größer sein und mehrere Umwallungen aufweisen. Im Inneren der Ringforts finden sich manchmal komplexe unterirdische Bauten und Spuren von Häusern, die als leichte Erhöhungen noch sichtbar sind.

Meist sind diese Ráths, an die natürliche Morphologie im Landschaftsgefüge an markanten, oft leichten Erhöhungen gebaut und treten mitunter in Gruppen auf oder sie tangieren sich. Dort besteht auch Sichtkontakt zum nächsten Ringfort auf dem nächsten Hügel.
In Uisneach sind die Strukturen mit den konzentrischen kreisförmigen Wällen dieses königlichen Ringforts deutlich sichtbar. Es ist ein exponierter Platz und trotzdem gut eingebettet. Der alte Weg, gesäumt von einer kerzengraden Heckenstruktur vom Fuße des Hügels, zum Ringfort ist weithin sichtbar. Ursprünglich soll dieses Fort ein bedeutender Tempel oder Palast von König Tuathal Techtmar im ersten Jahrhundert n. Chr. gewesen sein. Seine späteren Bewohner sollen die Könige der Clans der O’Neill- und Colman gewesen sein. Archäologische Ausgrabungen der 1920er Jahre bestätigten, dass es sich um einen opulenten Palast handelte.

In Irland gibt es wohl um die 3000 Ringforts. An dem großen Glück, das diese so gut erhalten sind, haben wohl die Feen ihren Beitrag geleistet. Allerdings!

Das sagenumwobene Volk der Tuatha De Danann – präsent auf dem Berg

Die Iren, mit ihrem großen Respekt vor dem sagenumwobenen Volk der Feen und dem kleinen Volk, wagten sich über Jahrhunderte nicht auf diese Ringforts oder auch nur in die Nähe der sogenannten Feenhügel. Glücklicherweise! Somit sind diese wunderbar erhalten und Archäologen haben ihre wahre Freude bei Erforschungen.

Um diese Raths und Lis ranken sich eine Fülle von Geschichten, Märchen und Mythen. Viele der Legenden erzählen von dem geheimnisvollen Stamm der Tuatha De Danann, dem Volk der Göttin Dana, das nach den Völkern der Milesiern und Fir Bolgs Irland besiedelte. Der Stamm soll aus einer „anderen Welt vom Himmel“ gekommen sein und wird auch als „das Volk von den Sternen“ bezeichnet und ist somit göttlichen Ursprungs sein. In der irisch-keltischen Mythologie werden die De Danann auch mit dem Sternbild des Schwanen in Verbindung gebracht, der in „Die Geschichte der Kinder Lirs“ angedeutet wird.

In der irischen Mythologie soll sich das mystische, halbgöttliche Volk der De Danann „unter die Hügel“ in die nicht sichtbare geistige Welt zurückgezogen haben, während die Milesier über den Hügeln, also in der oberirdisch sichtbaren, materiellen Welt verblieben. Diese Wohnstätten der Feenhügel werden auch als „Sídh“ oder Sid (altirisch) und die Bewohner der Feenhügel werden als síde, auch sidhe, bezeichnet.

Der Síd ist der mystischer Zugangsort der „Anderswelt“, eine Parallelwelt, die von normalen Menschen nicht betreten werden kann, die aber durchaus von den Túatha verlassen werden kann, um in die Welt der Menschen zu gelangen. Dies ist, unter anderem, im Ulster-Zyklus zu lesen, wo vereinzelt Götter aus den Feenhügeln kommen, um sich in die Belange der Menschen einzumischen.
Die Stammesgöttin Eire, Erin oder auch Eriu genannt, verkörpert die große Erdmutter Irlands und ruht auf dem heiligen Berg Uisneach unter dem Catstone.

Sommersonnenwende Hill of Uisneach

Zurück zu unserem Sonnwendfest: Station Royal Palace

Das Fest hatte auch einen echt irischen Erzähler: Marty fängt an, wild gestikulierend sein Holzstock schwingend, seine Erzählkunst zum Besten zu geben.

Einzig allein den Stock als Utensil zur Unterstützung seiner Aussagekraft, nimmt er uns mit auf seine stakkato-artig atemlose Reise durch den Kreis der Jahresfeste.

Eindrücklich begleitet ihn sein Stock um seine Rede zu bekräftigen. Er erzeugt eine Stimmung, die alle Menschen in seinen Bann schlägt.

Nächste Station: Weiter pilgern zum Bergsee, Lough Lugh

Einer kleinen Völkerwanderung gleich, pilgern wir weiter hoch auf den Berg.

Dort angekommen, geht es gleich in die Vollen. Marty, wieder ohne Punkt und Komma… Mit Leib und Seele und nicht zu vergessen mit seinem Holzstock! Mit viel Körpereinsatz springt er umher, rennt umher und seine Stimme tönt laut. Wie ein kleiner Feuergeist, ausdrucksstark, voller Inbrunst und Pathos schildert er die Geschichte von der Zeugung, der Geburt, dem Leben und dem Tod des Sonnengottes Lugh.

Ich verstehe von seiner einzigartigen Performance, rein sprachlich, wenn überhaupt, nur die Hälfte. Aber seine großen Gesten und eindrücklichen Schilderungen tragen zum nonverbalen Verständnis bei. Ich und auch alle anderen ReisebegleiterInnen sind völlig gebannt. Wir sind fassungslos über diese Ausdrucksfülle und die Hingabe mit der Marty sich leidenschaftlich ausdrückt.
Er spricht in Bildern, die in die Seele der Menschen aufgenommen werden und damit wird der Schatz der irischen Seele, seine Mythen, genährt und bewahrt.

Marty ist lebendiger Bewahrer von uralten Geschichten. Ein Storyteller in der Tradition des alten Irlands, wo Geschichtenerzähler eine wahrlich wichtige Stellung innehatten. Ein Gedächtnis der alten Geschichten, Legenden und Mythen von Irland.
Möge sein Feuer für seine Berufung noch lange brennen.

Die dritte Station führt uns auf den Hügelgipfel – der Feuerplatz für Beltaine

Sommersonnenwende Hill of Uisneach

Ästhetisch angeordnet brennen kleine Feuer. Nahrung für die Seele – pur. Viele kleine Sonnenfeuer erhellen die schöne Abendstimmung.
Eine Legende besagt, dass hier im Zentrum von Irland auf dem Gipfel von Druiden das erste große Feuer entfacht wurde. An Beltaine, dem großen Fest im Jahreslauf, wurde der Sommerbeginn eingeleitet. Das Fest feiert die Ausdehnung und Vielfalt der lebensspendenden nährenden Natur.

In jedem irischen Haus und Kamin des Landes wurden die Feuer gelöscht und in Erwartung das die neue Flamme von Uisneach entzündet wird. Sichtbar in 20 Provinzen – einem Viertel von Irland. Es müssen außergewöhnlicher Anblicke gewesen sein, als das Land vor diesem heiligen Fest in völlige Dunkelheit getaucht war!

Mit dem sichtbaren großen Feuer von Uisneach wurden die Feuerstellen in den anderen heiligen Hügeln der Provinzen entzündet.
Eine Verbindung und ein Lichtermeer über große räumliche Distanzen entstand und ein großartiges Feuerflammennetzwerk. Welche verbindende Kraft, die kollektiv in den Himmel gesendet wird.

Vielleicht eine Art vorzeitliches Kommunikationsnetz in den Himmel.

Kurzer Perspektivenwechsel: Stellt Euch einfach mal vor, dass Alexander Gerst, Astronaut der ISS, dieses Lichtermeer von der Aussicht aus dem Weltraum ca.354 km entfernt sehen könnte. Kein künstliches Licht, sondern nur die Lichter der Feuer brennen. Ganz großes Kino!

Musik, Tanz und Feuer

Sommersonnenwende Hill of Uisneach

Oben angekommen erwartet uns Musik.

Verschiedene Musikanten musizieren. Teils Lieder zum Lauschen, aber auch Chants zum Mitsingen.

Abgezäumt in der Kuhweide zeigen zwei Frauen eine Feuershow, umrahmt von der untergehenden Sonne, die sich als einzelne Flecken durch die Wolken sehen lässt.

Neugierig wie Kühe sind und angelockt von den wohlklingenden Musikanten, kommen sie näher. Langsam und unaufgeregt lauschen sie. Tief im Nordwesten geht die Sonne unter. Magisch öffnet sich das Fenster zur Sonne. Der Sonnenuntergang an diesem besonderen Tag mit dem längsten Tag und der kürzesten Nacht im Jahreslauf, entfaltet sich. Ein immer größeres Tor bildet sich und rot-glühend präsentiert sich die Sonne, hüllt die heilige Landschaft der Göttin Eiru ein in ein unwirkliches, geheimnisvolles fast, überirdisches Licht. Ein Himmel präsentiert sich uns mit seinen vielfältigen klaren Farben, eine Offenbarung und seine Lockungen in die Ferne, die sanfte Abenddämmerung….eine Berührung des Himmels.

Sommersonnenwende Hill of Uisneach

Das alles trägt dazu bei, in die irische Landschaft zu träumen und die nahe Verbundenheit mit den Naturmächten offensichtlich zu spüren.
Nach der ausgelassenen Stimmung folgt langsam eine Ergriffenheit, die zur inneren Stille heranreift mit dem Wissen um die Einzigartigkeit des Momentes.

Es offenbart sich eine Atmosphäre von Andacht und erfüllt Mensch und Tier.

Ein Geschenk des Himmels! Solch ein Erlebnis mit Tiefe des Augenblickes.

Eine uralte Schicht meines Bewusstseins wird berührt, die das Wesen der Landschaft prägt und die Welt immer wieder aufs Neue erschafft.

Erfüllt kehren wir zurück zum Besucherzentrum. Zur feierlichen Zerstreuung gibt es dort Musik. Die Musiker haben sich wie zufällig versammelt, um die alten bekannten Lieder Irlands zu spielen und damit die Wurzeln ihrer Heimat und ihres Zusammenhaltes zu zelebrieren.

Und natürlich gibt es Tee, Haferkekse und ein Feuer zum Wärmen! Zum Ausklang und zum Mitnehmen auf die Weiterreise unseres Lebens.
Mögen wir dieses besondere Erleben in unseren Herzen bewahren und weitertragen. Möge es uns inspirieren für unsere Heimat und unsere Wurzeln. Wir werden heimkommen und erfüllt sein mit einem großen Koffer an tiefen Erlebnissen!

Wie schön, dass wir dieses außergewöhnliche Erlebnis teilen durften. Das wird in mir und den Reisenden unserer deutschen Gruppe bewahrt bleiben.

In unserem B&B gab es noch ein endemisches Kaltschalengetränk namens Guinness. Das rundete den Abend ab!

Nachklang:

Glücklicherweise hatte unsere deutsche Truppe schon nachmittags eine Führung mit dem Archäologen Justin Moffatt. Mit präzisem und fachkundigem Wissen und erfreulicherweise klarer Sprache führte er uns über den Berg. Seine Gabe, zwischen Daten und Fakten und deren Bedeutung in der spirituellen- mythologischen Ebene des Berges zu vermitteln, kam deutlich zum Einsatz. Damit waren wir ausgerüstet und vorbereitet für den Abend. Danke.

Ebenso möchte ich mich bedanken, dass ich die schönen Fotos von Willie Forde für den Artikel verwenden durfte.